Wir sprechen hier über Musik…. Heutzutage wird viel über Improvisation geschrieben, aber der Musikunterricht in den meisten professionellen Schulen für die Klassiker gibt nicht allzu viel dazu her. Vor allem russische Schulen und Lehrer konzentrieren sich eher auf technische Perfektion und ein starres Festhalten an dem, was als korrekte Interpretation bezeichnet wird, und definieren damit einen engen Karriereweg für einige wenige, die an die Spitze gewählt werden, während die meisten anderen gezwungen sind, auszusteigen oder ein ziemlich elendes Leben im Schatten der offiziell anerkannten Stars zu führen.
Oganes würde da nicht mitmachen. Der Armenier, der 1991 in Moskau geboren wurde, nachdem seine Mutter aus der vom Krieg zerrütteten Heimat dorthin geflohen war, entpuppte sich bald als musikalisches Wunderkind. Mit vier Jahren fand er seine erste Geige in einem Spielzeugladen. Seine Mutter, die selbst musikbegeistert ist, erkannte das Talent ihres Sprösslings und verschaffte ihm Unterricht, für den sie bis zu seinem zwölften Lebensjahr selbst die Hauptlehrerin war. Allerdings spielte der Junge nicht so mit, wie es die Lehrer oder die Mutter wollten. Er improvisierte und komponierte eigene Melodien, die aber auf wenig Verständnis stießen….; nur zähneknirschend machte der Kleine mit wie er sollte.
Ab dem dreizehnten Lebensjahr wurde der Kampf mit den Edukatoren immer schlimmer. Stil und Inhalt, den sie den seltsamen Jungen lehren wollten, bekämpfte der ungehorsame Oganes regelrecht. Er empfand das, was die Lehrer wollten, als einengend und quälend, ganz im Gegensatz zu der Freude, die die Musik seiner Meinung nach bereiten sollte – sowohl dem Spieler als auch dem Publikum. Also wechselte er so manchen Lehrer, bis er ans Moskauer Staatskonservatorium kam. Doch dort wurde es immer schlimmer. Oganes, der sich in seiner Privatzeit alle Aufnahmen anhörte, die er in die Finger bekam, begann sich immer auf zwei „Lektionen“ vorzubereiten: eine für den jeweiligen Lehrer, die andere für seinen Auftritt auf der Bühne. Auf der Bühne spielte er so, wie er sich fühlte – und wurde vom Publikum bestätigt, das es liebte; leider nicht von seinen Kollegen, die versuchten, ihm diesen Geist auszutreiben und konform zu spielen.
‚Die Menschen schwimmen mit dem Strom; der Weise schwimmt dagegen.‘ (Chinesisches daoistisches Sprichwort)
Anstatt also zu versuchen, in Moskau die Karriereleiter hinaufzuklettern (wofür er sicherlich das Talent hatte), beschloss er, Russland zu verlassen und in die Schweiz zu ziehen. Nur um festzustellen, dass die Situation dort besser ist als zu Hause, aber immer noch schwierig. Der Hauptunterschied war, dass die Unterordnung des Musikers unter das Standarddenken weniger rigoros war als in Moskau und die Lehrer etwas verständnisvoller. Bei den Jurys in den Wettbewerben geht es aber vor allem um das Festhalten an Etabliertem und technischer Perfektion. Verständnis für Musik, Musik wie sie seiner Meinung nach ursprünglich funktionieren sollte? Selten. – Nun, er fand einige Gleichgesinnte in Lausanne und Zürich, wo er bei mehreren Anlässen auftrat, ehe Covid-Verordnungen die Regentschaft übernahmen…. Oganes suchte weiter nach geeigneten Lehrern und ging nach Deutschland. Dort stiess er schliesslich auf eine seiner heutigen Lehrerinnen, Christine Busch, die er bewundert.
Mittlerweile hat der junge Geiger und latente Komponist eine Vision für die er kämpft: die Musik zurück zum Menschen zu bringen. Eine Musik, die natürlich aus dem Herzen quillt und die Hände auf eigene Weise lehrt; eine Musik, die sich selbst trägt und sich aus sich selbst entwickelt – nicht aber festgelegten Interpretation folgt. Die Musik soll nach seinen Worten alles offenbaren können und das Unerklärliche direkt vermitteln.
Es ist ein harter Kampf gegen das Establishment. Oganes hat sich auf die Suche nach Lehrern und Schülern gemacht, die noch nicht im System gefangen sind. Er übt sie zunächst in «Entübung»: keine Hausaufgaben, sondern Spiel von Innen. Dieses Spiel wird unter einer systematischen Anleitung zu einer Selbstverständlichkeit kultiviert, die er selbst entwickelt hat. Und damit dieser Unterschied funktioniert, schwebt Hovhannes (armenische Version seines Namens) die Gründung einer Schule vor. Die Schule wird irgendwann irgendwo physisch und online entstehen, um die Botschaft weit und breit verbreiten zu können.
Wir haben den gesegneten Geiger zu Corona-Zeiten beim Spielen auf der Straße getroffen. Er scheut keine Mühen und keinen Widerstand, um seine Vision so gut wie möglich zum Wohle begeisterter Schüler und eines dankbaren Publikums zu verwirklichen – wir wünschen ihm den grossen Erfolg!
Basel, Februar 2021, tap